Es ist mitten am Nachmittag und ich bin viel zu busy um den Anruf auf meinem Handy entgegen zu nehmen. Also busy ist hier vielleicht das falsche Wort, denn ich stehe am Bahnhof vor dem Fahrkartenautomaten und versuche ein Ticket zu lösen, was nahezu unmöglich erscheint.
Das Menü ist unübersichtlich, der Touchbildschirm lässt sich nur ohne Handschuhe bedienen und die Knöpfe sind bei der Eiseskälte eingefroren. Zu allem Überfluss nimmt der Automat auch meinen 100.-€ Schein nicht und niemand weit und breit kann mir wechseln. Ich ärgere mich darüber, denn ich möchte sehr gerne für meine Fahrt bezahlen, aber es geht nicht. Auch das Büro, in dem man Karten bekommt, hat bereits, oder immernoch, oder dauerhaft vielleicht? geschlossen. Da waren früher die Münzen aus meinem Sparschwein irgendwie praktischer.
So stehe ich also in meinen rosa Schal fluchend, vor dem Automaten und warte vergeblich auf einen Lösungsvorschlag der modernen Technik, während das Handy in meiner Tasche fröhlich vor sich hin klingelt. „Können Sie endlich an Ihr Telefon gehen?“, pflaumt mich ein älterer Herr an, der scheinbar schon etwas länger hinter mir steht und darauf wartet, dass ich endlich den Kasten freigebe. „Können Sie sich um Ihre eigenen Dinge kümmern und den Automaten dahinten benutzen? Ich bin hier noch nicht fertig.“, pampe ich zurück und krame in meiner Handtasche nach ein paar Münzen, die ich ab und zu nach dem Bezahlen dort hineinwerfe, wenn ich meinen Geldbeutel bereits eingepackt habe und zu faul bin, ihn wieder heraus zu holen.
Ich habe Glück und als endlich das Geld klimpernd durch den Schlitz fällt und ich das knatternde Drucken höre, klingelt mein Handy erneut. Wer ist denn da so hartnäckig? Ich habe keine Zeit. Ich bin busy.
Ich vergesse den Anruf und ignoriere die kleine rote zwei auf meinem Display, gleich neben dem Hörer Symbol für die nächsten drei Tage, bis es wieder klingelt. Diesmal hab ich Zeit und nehme ab. Zugegebener Weise habe ich dabei vergessen, vorher auf die Nummer zu achten und weiß ausnahmsweise mal nicht schon vorher, wer am anderen Ende ist. „Du ziehst nach London? Richtig cool!“, brüllt er in den Hörer. Fast schon ein bisschen zu enthusiastisch für meine Begriffe, denn mit so einer Reaktion, habe ich nicht gerechnet. So hat immerhin noch niemand reagiert.
„Ja, schon.“, gebe ich etwas kleinlaut zurück, denn noch weiß ich nicht, ob sich seine Begeisterung anhält, wenn ich dem Ganzen zustimme. „Geil!! Was sagen deine Freunde und deine Mama vor allem?“, wir unterhalten uns, als wäre es gestern gewesen, als wir uns schworen, niemals erwachsen zu werden und als wir irgendwie wirklich noch alles vor uns hatten. Ok, der erste Kuss war bereits vorbei, aber Studium, die erste Jobsuche, das alles lag vor uns. Niemals erwachsen werden. Einen kurzen Moment schweifen meine Gedanken ab und ich frage mich, ob ich unseren Schwur nicht schon gebrochen habe, als ich mit meinem 100.-€ Schein versucht habe, eine Fahrkarte zu kaufen. Ich mein, das ist schon irgendwie etwas, was Kinder nicht machen. Oder?
Wir reden über Freunde, die Kinder haben oder kriegen, Haus und Hund und irgendwie auch keine großen Träume oder Pläne mehr. Darüber, dass Menschen sich weiter entwickeln und dass Freundschaften, die ewig halten sollten, sich nunmal auseinander leben. Jeder geht eben seinen eigenen Weg und das ist auch genau, was wir machen. Denn wann haben wir uns zuletzt gesehen?
Richtig, vor sechs Jahren auf einen schnellen Kaffee. Weil die Zeit so schnell vergeht und just wird mir bewusst, dass unser Telefonat auch bereits über zwanzig Minuten dauert. Wir legen auf und dabei brennt mir eine wichtige Frage im Kopf, die ich seitdem nicht mehr vergessen kann.
„Sind wir jetzt erwachsen, Peter?“